Das Bau-ABC Rostrup setzt bei der Ausbildung zum WKS- und Industrie-Isolierer auf stärkenorientierte Wissensvermittlung. Im Interview berichten Marc-André Kujau, Leiter gewerbliche Ausbildung KAEFER Industrie GmbH, und Emke Emken, Leiter des Bau-ABC Rostrup und des ABZ Mellendorf, was das in der Praxis bedeutet und wie eine digitale Toolbox dabei hilft, die Ausbildung zeitgemäß zu gestalten.
Das Bau-ABC Rostrup ist eine von bundesweit 13 Aus- und Weiterbildungseinrichtungen für den Beruf des Isolierers. Was unterscheidet sie von anderen?
Emken: Vieles machen wir natürlich ähnlich wie die anderen, manches aber auch deutlich anders. Das betrifft insbesondere die didaktischen Methoden. Seit etwa drei Jahren verzichten wir auf die altbekannte Kultur des Fehler-Aufzeigens. Wir haben es alle erlebt: Die Lehrkräfte streichen mit dem Rotstift an, was man falsch gemacht hat. Das kennen auch die jungen Menschen, die für die überbetriebliche Ausbildung zu uns kommen, nur allzu gut. Denn sie sind nun einmal nicht durchgängig Einserschüler. Sie haben oft darunter gelitten, dass sie permanent rot auf weiß gesehen haben, was sie alles nicht können. Es hat sich aber offensichtlich bisher auch niemand die Frage gestellt, warum sie irgendetwas nicht können…
Was ersetzt bei Ihnen den Rotstift?
Emken: Unser Leitgedanke in der Ausbildung ist, dass jeder junge Mensch etwas kann. Nur das Talent, die individuelle Lernfähigkeit und das Lerntempo sind unterschiedlich. Die Lehrwerkmeister setzen sich mit den Auszubildenden zusammen, besprechen das jeweilige Projektergebnis und analysieren, was sie richtig gemacht haben. Wir zeigen den aktuellen Lernstand mit einem grünen Stift auf. Diese simple, aber wirkungsvolle Methode ist für die Mehrzahl der Auszubildenden am Anfang neu und sie wundern sich, dass sie überhaupt etwas können und wissen. Wenn man an dieser Stelle ansetzt, entwickelt sich eine ganz andere Motivation. Dieser didaktische Ansatz ist sicherlich nicht neu, aber er funktioniert und zeigt erfolgreiche Ergebnisse.Marc-André Kujau: Es gehört zum Lernen, Fehler zu machen. Wichtig ist nur, wie wir damit umgehen. Unsere positive Fehlerkultur funktioniert. Die Auszubildenden fühlen sich verstanden. Die guten Abschlussprüfungen bestätigen diese erfahrungsbasierte, konstruktive Art des Lehrens und Lernens.
Gruppenfoto bei den KAEFER Einführungstagen im Bau-ABC Rostrup 2021. (Quelle: KAEFER Industrie)
Herr Kujau, Sie sind Leiter gewerbliche Ausbildung bei KAEFER und betreuen in der Funktion den Ausbildungszweig für das Bau-ABC. Viele Jugendliche sind die Woche über vor Ort. Was ist neben der didaktischen Vermittlung wichtig?
Kujau: Wir haben es mit heterogenen Gruppen zu tun. Wir kümmern uns nicht nur um die Ausbildung, sondern wir coachen auch.Es geht um Fachwissen, aber ebenso um Persönlichkeitsentwicklung. Wir möchten nach drei Jahren Nachwuchs ausgebildet wissen, der Unternehmen einen Mehrwert bietet. Fachwissen alleine nützt nichts. Auch Teamarbeit, Pünktlichkeit und Zuverlässigkeit werden in Gesprächen mit den Auszubildenden als wichtige Werte vermittelt. Das liegt uns sehr am Herzen, deshalb haben wir hier auch die volle Unterstützung der Geschäftsführung der KAEFER Industrie GmbH.
Der Einsatz digitaler Hilfsmittel wird auch im Rahmen der Ausbildung wichtiger. Wie digital ist die überbetriebliche Ausbildung bei Ihnen?
Emken: Ich würde sagen: verhältnismäßig sehr digital! Wir haben mit einem Softwaredienstleister eine Learning Toolbox in Form einer App entwickelt. Darin wird alles dokumentiert, was die Auszubildenden in den Projekten fertigen, die Arbeitsvorbereitung, die praktischen Fertigungsabläufe mit der Erstellung der jeweiligen Gefährdungsbeurteilung, die abschließende Qualitätssicherung, wiederkehrende Dinge wie Werkzeuglisten, Informationen zur Arbeitssicherheit und zum Gesundheitsschutz oder die Beurteilung zum jeweiligen Lehrgang.Im Grunde ist die App ein individuelles Lehr- und Lernbuch und zeigt das Leistungsprofil eines jeden Auszubildenden. Neben dem altbekannten `Weißen Ordner‘ dient sie als Lernhilfe und Nachschlagewerk für die Auszubildenden in digitaler Form. Der Vorteil für die Ausbildungsbetriebe ist wiederum, dass sie die Fortschritte ihrer Auszubildenden einsehen können.
Aktuell passiert vieles in Handarbeit; einen 3D-Drucker sucht man in der Werkstatt noch vergeblich. Doch das Bau-ABC ist offen für neue Technologien und Tools. (Quelle: KAEFER Industrie)

Wie finden die Betriebe die Toolbox?
Emken: Wir haben die Learning Toolbox nach fünfjähriger gemeinsamer Entwicklung und entsprechenden Testphasen zum Ausbildungsstart 2020 für alle Gewerke verpflichtend eingeführt und die Ausbildungsbetriebe informiert, dass die Auszubildenden die entsprechende Technik benötigen. Ehrlich gesagt haben wir mit kritischen Nachfragen gerechnet – aber im Gegenteil. Die Unternehmen fanden das sehr gut und haben die Auszubildenden direkt mit passenden Tablets ausgestattet.
Kujau: Auch die Betriebe wissen, dass an dieser Entwicklung kein Weg vorbeiführt. Ich denke hier z.B. an das Aufmaß von Rohrleitungen. Oft wird das noch mit Gliedermaßstab gemacht und auf einen Zettel geschrieben. Durch die Digitalisierung lässt sich alles viel genauer dokumentieren und demnach lassen sich Ressourcen und Kosten sparen, weil die Blechummantelungen eben genau passen. Durch die Integration digitaler Hilfsmittel in die Ausbildung haben auch die Unternehmen einen Vorteil: Wenn der Nachwuchs nach der Ausbildung bei ihnen anfängt, muss man ihm nicht erklären, wie man das Tablet richtig benutzt. Man denkt zwar, die Jugend sei digital top aufgestellt. Aber wenn man sagt, dass man mit einem Tablet sowas wie Excel bearbeiten kann, wird man oft mit großen Augen angeschaut.
Welche digitalen Hilfsmittel könnten künftig noch zum Einsatz kommen?
Emken: Sowohl im Metall- als auch im Kunststoffbereich arbeiten wir schon mit 3D-Druckern. Derzeit sind das noch Übungen. Aber es ist durchaus denkbar, Ummantelungen irgendwann mal zu drucken.
Kujau: Das übersteigt zwar noch meine Vorstellungskraft – aber heute ist dank Digitalisierung einiges möglich. Ich bin gespannt. Vor einiger Zeit habe ich gehört, dass man daran forscht, menschliche Organe mit dem 3D-Drucker zu erstellen. Dann sollte das mit Blechen doch auch möglich sein…
Im WKSB-Handwerk trifft man selten auf Frauen. Ist das bei Ihnen auch so?
Kujau: Ja, auch bei uns sind Frauen eine Seltenheit. Aber: Im neuen Ausbildungsjahr sind zwei Frauen dabei. Das freut uns sehr.
Emken: Frauen nehmen innerhalb der Aus- bildung ganz schnell eine Führungsrolle ein. Das Klima ist anders, wenn weibliche Auszubildende anwesend sind, weil sich die Männer deutlich anders benehmen. Sie werden nicht zum Kavalier, aber die Frauen haben überhaupt keine Probleme. Vor allem vor dem Hintergrund, dass die Bauwirtschaft eine hoch technologische Branche ist, wird der Beruf auch für Frauen interessanter. Es gibt mehr Werkzeuge, die die Arbeit erleichtern. Ich denke, dass insbesondere der Industrie-Isolierer eine gute Möglichkeit für Frauen bietet, eine interessante berufliche Zukunft zu gestalten.
Der Fachkräftemangel betrifft auch das Isolierhandwerk. Was muss passieren, um die Entwicklung umzukehren?
Kujau: Die Hauptaufgabe ist, in die Öffentlichkeit zu transportieren, dass das Handwerk interessante und sichere Arbeitsplätze bietet. Viele Eltern wollen, dass ihre Kinder studieren. Aber die Arbeitswelt ist bereits im Umbruch. Gerade das Thema Nachhaltigkeit ist bei den jungen Erwachsenen ein immens wichtiges Thema. Die Baubranche findet gerade einen deutlich „grünen Weg“. Das müssen wir klarer und transparenter vermitteln, auch an die teilweise mitentscheidenden Eltern. Eine handwerkliche Ausbildung ist attraktiv, verlässlich und ein entscheidender Faktor für eine nachhaltige und ressourceneffiziente Zukunft.
Emken: Wir müssen an die jungen Menschen ran, indem wir in die Schulen reingehen. In diesem Zusammenhang müssen wir uns übrigens auch fragen, ob Schule in der aktuellen Struktur noch nachhaltig berufsvorbereitend sinnstiftend ist. Meine Kritik richtet sich nicht gegen die Lehrerschaft, sondern gegen das Schulsystem. Wenn man betrachtet, welche Schulabgänger sich z.B. für Bauberufe interessieren, müssen wir feststellen, dass das System so nicht hilfreich ist. Wenn die Auszubildenden zu uns in die überbetriebliche Ausbildung kommen, analysieren wir – wie bereits ausgeführt – gemeinsam, welche Talente sie haben. Das fragt sie in der Schule offensichtlich niemand. Hier bräuchte es in der 7. oder 8. Klasse flächendeckend Potenzialanalysen, um Stärken zu erkennen und zu fördern. Wir führen solche Potenzialanalysen gemeinsam mit Schulen im Bau-ABC Rostrup seit einigen Jahren durch. Anfangs war auch ich skeptisch, mittlerweile bin ich ein Fan davon. Die Schülerinnen und Schüler nehmen das sehr positiv auf. Da bekommen die Lehrerkräfte – überspitzt gesagt – fast Angst, dass sie denkende und fordernde Schüler zurückbekommen.
Kujau: Wir versuchen in der überbertrieblichen Ausbildung herauszufinden, welche Lerntypen wir haben und wie wir damit umgehen. Die Digitalisierung hilft uns, indem wir viel mehr auf Projekt- und Gruppenarbeiten setzen. Unsere Auszubildenden können sich gegenseitig unterstützen und stellen fest, wo ihre Stärken liegen.
Infokasten: Die digitale Learning Toolbox
Was würde den Berufszweig für junge Menschen interessanter machen?
Emken: Wenn wir bei Veranstaltungen in Schulen sind, merkt man schnell, dass das Wissen über Bauberufe gering ist. Unter einem Zimmermann können sich viele noch was vorstellen. Aber danach wird es schwierig. Hier müssen wir Aufklärungsarbeit leisten. Dass Bauberufe für viele Jugendliche noch nicht interessant sind, liegt übrigens auch an der Außenwirkung. Wenn ich an Baustellen vorbeifahre, blutet mir oft das Herz. Wir wollen die Besten haben, stellen uns aber schlecht dar. Das Muskel-Shirt oder das abgelegte Hawaii-Hemd statt Berufskleidung und zu wenig Sicherheitsvorkehrungen. Das gilt nicht für alle – insbesondere in der Industrie-Isolierung ist man weitestgehend professionell unterwegs. Aber es gilt für viele. Die Isolier-Branche muss sich so darstellen, wie es die Wertigkeit des Berufes verlangt. Das sorgt für positive Ausstrahlung. Ein Banker hat es einfacher. Er trägt eine Krawatte und steht nie im Regen. Das bietet das Handwerk nicht. Aber wir haben andere Stärken. Und die muss man klar und vor allem realistisch nach außen kehren. Die Jugend will wichtige und richtige Argumente hören. Sie will ernst genommen werden.
Welche Rolle spielen Entwicklungsmöglichkeiten bei der Wahl eines Bauberufs?
Emken: Wir haben in der Bauwirtschaft für alles eine feste Struktur. Das findet sich in keiner anderen Branche. Wir haben eine durchstrukturierte Ausbildung, eine Aufstiegsbildung und duale Studiengänge. Das kann keine andere Branche bieten. Aufstieg ist in der Bauwirtschaft möglich und gewünscht. Hinzu kommt, dass die Löhne und Gehälter vergleichsweise sehr hoch sind. Aber das allein lockt niemanden in die Bauberufe. Die Unternehmen müssen in der Ausbildung überzeugen.
Welche Schritte müssen folgen, wenn erstmal das Interesse geweckt ist?
Emken: Praktika sind essenziell. Viele Ausbildungsbetriebe bieten Praktika für Schüler an, aber es müssten mehr sein.Wir können einen Praktikanten aber nicht einfach auf die Baustelle stellen und sagen: „Guck, was die Kollegen machen und mach es nach!“ Man muss die jungen Menschen mitnehmen. Und wenn man einen Schüler interessiert hat, muss man ihn halten und als Auszubildenden gewinnen. Das allein reicht aber nicht. In der Ausbildung muss sich das fortsetzen. Wir unterweisen allein im Bau-ABC Rostrup und im ABZ Mellendorf täglich ca. 1.000 Auszubildende. Alle haben unterschiedliche Lern- und Leistungsprofile. Das muss man auch im Betrieb berücksichtigen. Auszubildende müssen sich auf der Baustelle wertgeschätzt wiederfinden. Sie sollen nicht verhätschelt, aber individuell entwickelt werden. Der Nachwuchs muss von Tag eins an die Arbeitsaufgaben herangeführt werden und nicht nur Hilfsarbeiten erledigen. Das, was in den Ausbildungsrahmenplänen steht, muss auf der Baustelle Anwendung finden. Dann klappt das. Es gibt niemanden, der nicht ausbildungsfähig ist. Jeder kann was, man muss es nur rausholen.
Das Isolierhandwerk trägt zum Klima-schutz bei. Welche Rolle spielt das für (potenzielle) Auszubildende?
Emken: Eine immer größere. Die HDB-Initiative Traumjob Klimaschützer ist ein Schritt in die richtige Richtung, aber nur ein Puzzlestück. Wir müssen transportieren, dass zum einen die Isolierer und zum anderen die gesamte Bauwirtschaft systemrelevant sind. Ohne Bauen funktioniert nichts.
Kujau: Bei der Isolierung geht es nicht mehr nur um die rein wirtschaftliche, sondern immer stärker um die umweltbewusste, also Energie einsparende Dämmung. Daher glaube ich, dass der Beruf immens wichtig ist und immer wichtiger werden wird, um den CO₂-Ausstoß zu verringern. Wir müssen Auszubildende sensibilisieren, dass sie nicht nur im Job für Nachhaltigkeit stehen, sondern auch darüber hinaus. Durch die Ausbildung erweitern sie ihren Horizont und lernen, die Frage, wie sie ihren CO₂-Fußabdruck verringern, auch ins Private zu übertragen. Heute denken viele eher darüber nach, ob sie ihre Heizung nachts laufen lassen müssen oder etwa die Heizungsleitung ungedämmt lassen. Es geht also in die richtige Richtung.
Herr Kujau und Herr Emken, Danke Ihnen für das Gespräch.
Die Ausbildungsstätten der WKSB- und Industrie-Isolierer

In Deutschland gibt es derzeit 13 Aus- und Weiterbildungseinrichtungen, in denen der WKSB- und Industrie-Isolierer Nachwuchs fit für den Beruf gemacht wird. Die Einrichtungen arbeiten i.d.R. Hand in Hand mit den Ausbildungsbetrieben und den Berufsschulen und bieten somit ein duales Ausbildungssystem, das sich bewährt hat.
Die Vermittlung der Handfertigkeiten des komplexen und technisch hoch anspruchsvollen Gewerkes reicht von der klassischen Gesellenschulung bis hin zu den Meisterabschlüssen der Industrie-Isolierer.In dieser Serie stellen wir die Orte vor, an denen für viele Fachkräfte die berufliche Laufbahn in der Isolierbranche beginnt.