Die Anforderungen an Kältedämmungen sind deutlich gestiegen, auch in der Technischen Isolierung. Am FIW München wurde daher ein Verfahren entwickelt, das thermische Messungen von Dämmsystemen für Rohrleitungen bei realen Anwendungsbedingungen unterhalb der Umgebungstemperatur ermöglicht. (Quelle: Michael Bußmann auf Pixabay)

Planung

20. July 2021 | Teilen auf:

Messung der Wärmeleitfähigkeit mit flüssigem Stickstoff

Zur Erweiterung der Betriebsbedingungen auf Tiefkälterohrleitungen sowie zur Einführung der ­aktiven Kühlung der Rohrleitung während der Messung von thermischen Eigenschaften der Dämmsysteme wurde am Forschungsinstitut für Wärmeschutz e.V. München (FIW) ein neues Messprinzip entwickelt. Damit konnten erstmals thermische ­Messungen von Dämmsystemen für Rohrleitungen bei realen Anwendungsbedingungen unterhalb der Umgebungstemperatur angeboten werden.

Der stetig wachsende, weltweite Kältebedarf treibt den Energieverbrauch in die Höhe und belastet die Umwelt durch zunehmende CO₂-Emissionen. Das hat zur Folge, dass gerade bei der Erzeugung von Kälte, der Lagerung und für den Kältetransport energieeffiziente Technologien eingesetzt werden müssen.
Die Anforderungen an Kältedämmungen sind in den letzten Jahren enorm gestiegen. Die Messung der Wärmeleitfähigkeit von ebenen Proben bis zu einer Mitteltemperatur von etwa –170 °C ist im FIW München schon seit vielen Jahren möglich. Zur Bestimmung von thermischen Eigenschaften von Rohrdämmungen steht in Europa nur die Prüfnorm DIN EN ISO 8497 „Bestimmung der Wärmetransporteigenschaften im stationären Zustand von Wärmedämmungen für Rohrleitungen“ zur Verfügung. Ein elektrisch beheiztes Prüfrohr erzeugt die zur Messung nötige Temperaturdifferenz am Dämmsystem. Wird das Messprinzip auch unterhalb der Umgebungstemperatur angewandt, wird das gedämmte Prüfrohr in eine Klimakammer gestellt. Damit kann der Luftraum der Kammer mit Kryostaten bis ca. –70 °C gekühlt werden. Der Vorteil dieser Prüfmethode – dass die am Prüfrohr montierten Dämmsysteme direkt unter Anwendungsbedingungen geprüft werden können – besteht bei Kältedämmungen nicht vollumfänglich, denn der Wärmestrom ist durch die elektrische Beheizung der Prüfrohre fälschlicherweise nach außen gerichtet. Die äußere Oberflächentemperatur des Dämmsystems während der Messung entspricht damit nicht der Temperatur unter realen Betriebsbedingungen, wie sie sich in einer technischen Anlage ergeben würde.

Bei einer gedämmten Kälterohrleitung stellt sich der Energietransport und aufgrund der Partialdruckdifferenz auch der Wasserdampftransport zur Rohrleitung hin ein. Zur Beurteilung von möglichen Energieeinsparpotenzialen durch Kälteschutz an betriebstechnischen Anlagen müssen neben den thermischen Eigenschaften der Kältedämmstoffe auch die spezifischen Energieverluste aller Komponenten bekannt sein. Bei gedämmten Rohrleitungen dürfen die Energieverluste über Flansche, Armaturen und Ventile nicht vernachlässigt werden.

Rohrdämmungen – eiskalt geprüft

Zur Erweiterung der Betriebsbedingungen auf Tiefkälterohrleitungen sowie zur Einführung einer aktiven Kühlung der Rohrleitung während der Messung von thermischen Eigenschaften der Dämmsysteme wurde am FIW München vor einigen Monaten ein neues Messprinzip entwickelt. Damit konnten erstmalig thermische Messungen von Dämmsystemen für Rohrleitungen bei realen Anwendungsbedingungen unterhalb der Umgebungstemperatur angeboten werden.
Die Beurteilung der Ergebnisse beinhaltet auch die Bewertung

einer möglichen Taupunktunterschreitung an der Oberfläche des Dämmsystems, einer Feuchteanreicherung im Dämmstoff und des Langzeitverhaltens.

Jederzeit können auch Dämmsysteme mit zusätzlichen Komponenten wie Armaturen, Flansche oder Ventile untersucht werden.

Messprinzip „Hot-Box“ (Heizraum-Rohrverfahren)

Das Hot-Box-Prüfrohr, geöffnet (Quelle: FIW München)

Als Messprinzip des neuen Rohrprüfstandes (siehe Abb. rechts) wurde das so genannte Hot-Box-Verfahren gewählt. Dabei wird ein Dämmsystem (hier gelb) auf ein Prüfrohr (hier braun) montiert. Dieses Prüfrohr wird von einem Kühlmittel durchflossen und zentrisch in einen zylin­drischen Prüfraum gelegt. Durch die adiabate Betriebsweise des Prüfraumes innerhalb eines Schutzraumes können die zur ­Erhaltung einer bestimmten Temperaturdifferenz nötigen Energieströme exakt erfasst werden.

Der Schutzraum wird durch eine ca. 50-fach verstärkte Thermokette exakt auf die Temperatur des Prüfraumes geregelt. Dadurch wird sichergestellt, dass die dem Prüfraum elektrisch durch Flächenheizungen zugeführte Energie nur durch die zu untersuchende Probe zum „kalten“ Prüfrohr fließt. Aus der Temperaturdifferenz zwischen dem Prüfrohr und der Oberfläche des Dämmsystems, der elektrischen Leistung der Flächenheizungen und den Probendimensionen kann nun die Wärmeleitfähigkeit eines Dämmstoffs des Rohrdämmsystems (für die jeweils gewählte Mitteltemperatur) berechnet werden. Die Erfassung aller Messgrößen erfolgt mittels eines automatischen Messsystems. Durch Stirnscheiben variabler Größe in den Übergangsbereichen des Schutz- und Prüfraums (hier grün) können beliebige Dämmsysteme mit unterschiedlichen Dimensionen untersucht werden.

Die Peltier-Wärmepumpe zur Steuerung der Schutzraumtemperatur (Quelle: FIW München)

Großen Wert wurde auf die präzise Regelung der Schutzraumtemperatur gelegt, da diese sensible Größe die Energieströme stark beeinflusst. Entscheidend ist hier die thermische Entkopplung zur Umgebungstemperatur der Prüfapparatur. Dazu wurde der Schutzraum mit einer Peltier-Wärmepumpe (siehe Abb. rechts) ausgestattet und der Regelsensor grundsätzlich verbessert. So konnte ein optimaler Betrieb des Prüfgerätes realisiert werden. Die Strahlungsvorgänge, die die Messung beeinflussen, wurden im Prüfraum durch die Installation von reflektierenden Oberflächen als Strahlungsschild vermieden. In der ersten Projektphase konnte der Prüfstand seine Fähigkeiten bis zu einer Rohrtemperatur von ca. –20 °C, d.h. einer Mitteltemperatur von 0 °C, unter Beweis stellen.

Erweiterung auf Tiefkälte

Erweiterung des Prüfstandes auf kryogene Temperaturen durch Verwendung von flüssigem Stickstoff (Quelle: FIW München)

Als sinnvolle, notwendige Erweiterung des Prüfangebots der Abteilung „Technische Dämmung“ im FIW München wurde der Rohrprüfstand nach der Hot-Box-Methode zur Ermittlung der längenspezifischen Energieverluste für den Tiefkältebetrieb (siehe Abb. rechts) ausgebaut. Alle nötigen sicherheitsrelevanten Vorkehrungen zum Betrieb der Messanlage mit flüssigem Stickstoff wurden installiert und durch ein entsprechendes Zertifikat eines Gutachters bestätigt. Bei der Bestimmung der thermischen Eigenschaften von Kältedämmungen konnte durch die Verwendung von Flüssigstickstoff zur Kühlung der Rohrleitung mit einer Mediumtemperatur von ca. –190 °C im Dämmstoff eine Mitteltemperatur von ca. –90 °C realisiert werden.

Vergleichsversuche notwendig

Eine Qualifizierung des Hot-Box-Prüfrohres erfolgte über einen Vergleich mit Prüfergebnissen von anderen Prüfmethoden und durch den Nachweis, dass sich das Prüfergebnis bei gleichbleibender Mitteltemperatur des Dämmsystems bei unterschiedlichen Temperaturdifferenzen am Probekörper und bei wiederholtem Anfahren der gleichen Mitteltemperatur nicht ändert. Dadurch ist bestätigt, dass die Messung adiabat ohne signifikante, systematische Fehlerquellen durchgeführt wird (siehe Abb. 5). Die Reproduzierbarkeit der Messergebnisse liegt bei ca. 1 % (siehe Tabelle 1).

Tabelle 1: Baurechtliche Anforderungen an Baustoffe

Mitteltemperatur in °C
Temperaturdifferenz in K Wärmeleitfähigkeit in mW m–1K -¹ Differenz (absolut / relativ) in mW m -¹ K -¹/%
9,13 16,66 27,03 0,06/0,22
9,36 35,76 27,09
-86,52 199,76 21,03 0,15/0,71
-86,86 199,92 21,18
Quelle: FIW München

Vergleichsmessungen mit einem typischen Kältedämmstoff, einem Dämmschlauch aus flexiblen Elastomerschaum, bestätigen die Prüfergebnisse nach der europäischen Prüfmethode DIN EN ISO 8497 mit Abweichungen < 1 % (siehe Abb. 6). Im Bild 7 sind beispielhaft die Prüfergebnisse zur Bestimmung der Wärmeleitfähigkeit für drei unterschiedliche Rohrdämmsysteme für Anwendungen in der Tiefkälte dargestellt.

Durch die Mitarbeit des FIW München in dem VDI-Richtlinienausschuss zur VDI 4610 Blatt 1 und Blatt 2: „Energieeffizienz betriebstechnischer Anlagen; Wärme- und Kälteschutz/Wärmebrückenkatalog“ konnten die spezifischen Energieverluste von standardisierten Bauteilen von Kälterohrleitungen einer breiten Öffentlichkeit zur Verfügung gestellt werden. Durch die Erweiterung des Prüfstandes für den Tiefkältebetrieb ist es jetzt möglich, bei Rohrdämmsystemen für technische Anlagen mit Betriebstemperaturen weit unterhalb der Umgebungstemperatur zuverlässig die spezifischen Energieverluste zu ermitteln.

Fazit

Mithilfe des Hot-Box-Messprinzips lässt sich die Wärmeleitfähigkeit des Dämmstoffs eines beliebigen Rohrdämmsystems bestimmen. Eine Erweiterung des Prüfstandes für den Tiefkältebetrieb ermöglicht, bei Rohrdämmsystemen für technische Anlagen mit Betriebstemperaturen weit unterhalb der Umgebungstemperatur Energieverluste zu ermitteln. Die Erkenntnisse aus Untersuchungen können dazu beitragen, Kälteverluste bei Rohrdämmsystemen zu minimieren und so die durch Kühlung entstehenden Energieverluste und Treibhausgasemissionen zu reduzieren.

Autoren

Dr. Andreas Kloss
Forschungsinstitut für Wärmeschutz e.V.
München; Wissen-
schaftlicher Gerätebau

Dr.-Ing. Roland Schreiner
Forschungsinstitut für Wärmeschutz e.V.
München;
Abteilungsleiter
Technische Dämmungen

Dipl.-Ing. Karin Wiesemeyer
Forschungsinstitut für Wärmeschutz e.V. München;
Technische Dämmungen

Quellen
[1] DIN EN ISO 8497, „Bestimmung der Wärmetransporteigenschaften im stationären Zustand von Wärmedämmungen für Rohrleitungen“, 1996, Beuth Verlag
[2] VDI 4610, Blatt 1, „Energie­effizienz betriebstechnischer Anlagen – Aspekte der Wärme- und Kälteverluste“, 2018-01, Beuth Verlag
[3] VDI 4610, Blatt 2, „Energie­effizienz betriebstechnischer Anlagen – Wärme­brückenkatalog“, 2018-12, Beuth Verlag

T|I Technische Isolierung

Der Beitrag ist auch in Ausgabe 2.2021 der Fachzeitschrift TI – Technische Isolierung (Juni) erschienen.

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zuletzt editiert am 15.09.2021