Der Ansatz der Low-Tech-Architektur zieht viel Aufmerksamkeit auf sich. Aber ist das denn wirklich etwas Neues?
Eigentlich nicht, vor und nach dem Zweiten Weltkrieg war alles Low Tech. Aber bei der Technisierung der Gebäude gab es seither einen starken Zuwachs. Das zeigen zum Beispiel Zahlen zum Zeitraum 1999 bis 2014, die von der Baukostensenkungskommission erhoben wurden. Die Kostengruppe 300 – die konstruktiven Elemente eines Gebäudes – ging um 25 Prozent hoch, die Kostengruppe 400 – die technischen Anlagen – um 45 Prozent. Das zeigt die Entwicklung zugunsten der TGA.
Auf welche Technik kann man denn verzichten?
Kein Haus kann ohne Technik sein. Aber ein wichtiges Thema sind mechanische Lüftungsanlagen. Auch über die Notwendigkeit von Kühlung in Nordeuropa sollten wir nachdenken. Klimaangepasste Architektur ist das Stichwort. Glaspaläste haben die Welt mit Bildern bezirzt, hier müssen wir als Planerinnen und Planer neu denken. Kritisch sehe ich auch den außenliegenden Sonnenschutz. Er ist sehr anfällig im Betrieb. Besser sind Fenster, die tiefer in der Fassade sitzen und nicht bündig anschlagen. Sie gehören auf die Ebene der Dämmung.
Und was ist mit passiver Kühlung mittels Decken oder anderer Bauteile?
Hier muss man bedenken, dass passive Lösungen aufwendig sein können wegen des hohen Ressourceneinsatzes – es geht um eine ganzheitliche Bewertung, die die Umweltfolgen mit einbezieht. Allerdings muss das noch genauer untersucht werden.
Wie weit kann auf Heizung verzichtet werden?
Ein Wohnhaus ohne Heizung ist schwierig. Gerade weil es beim Wohnen wenig interne Lasten, also Wärmequellen wie Computer im Büro, gibt. Früher erzeugten auch Glühbirnen Abwärme, aber bei LEDs ist das anders. Um zu heizen, muss man sehen, wo es Energie gibt, die ohnehin anfällt und die genutzt werden kann. Beispiele sind die Abwärme aus dem Abwasserkanal oder von Produktionsbetrieben, die Quartierslösungen darstellen.
Um auf ein Stichwort zurückzukommen, das Sie anfangs genannt haben: Was ist mit Lüftungsanlagen?
Damit beschäftigen wir uns viel. Hier geht es um gesundheitliche Fragen. Gerade im Winter bringen sie trockene Luft ins Gebäude, die durch das Erwärmen weiter austrocknet. Wir haben selbst Messungen gemacht: Die Luftfeuchtigkeit liegt dann unter 30 Prozent. Außerdem kostet Lüftung Geld im Betrieb, durch Reparaturen und den Austausch von Komponenten. Und Platz kostet sie auch.
Wie stehen Sie zu Smart Metern?
Es ist grundsätzlich gut, wenn den Nutzern verdeutlicht wird, was sie verbrauchen. Am Ende geht es beim Heizen genauso wie beim Lüften immer um das Nutzerverhalten.
Wo setzen Sie in Ihrer Arbeit als Architektin weitere Schwerpunkte?
Wir befassen uns mit dem Bauen mit Naturbaustoffen, denn auch sie können etwas bewirken im Sinne von Low Tech. Die Lüftung kann kompensiert werden durch Feuchtespeicher im Gebäude, denn Feuchtigkeit verursachen wir alle. Lehm als raumbegrenzende Schicht auf Wänden und Decken adsorbiert die Feuchtigkeit. Auch Holz kann das, wie beispielsweise das Brettsperrholz, das wir in der Konrad-Zuse-Schule in Berlin verwendet haben. Das sind bei einer Wand dann die ersten 15 Millimeter. Aber auch tiefere Bauteilschichten tragen zur Speicherung bei. Mineralwolle, die zum Beispiel als Dämmung für den Schallschutz verwendet wird, nimmt wenig Feuchtigkeit auf. Holzweichfasermatten eignen sich dagegen sehr viel besser.
Wartungskosten und Folgen für die Umwelt einpreisen
Wie sieht es da mit den Kosten aus?
Lehm ist teurer als Gips, aber von den Qualitäten her kann man diese Baustoffe nicht vergleichen. Die Investitionskosten sind höher, aber sie amortisieren sich in einer überschaubaren Zeit. Im Jahr 2016 haben Projektpartner dies einmal im Rahmen eines Forschungsprojekts berechnet und kamen auf eine Amortisationszeit von elf bis 17 Jahren. Wenn man auch noch die Umweltfolgekosten verpreist, sieht die Rechnung noch einmal anders aus.
Wie weit bezieht sich der Low-Tech-Ansatz auf die konstruktive Seite eines Gebäudes?
Es geht auch um den Ansatz des einfachen Bauens, wie er bei den Forschungshäusern in Bad Aibling gezeigt wurde. Auch hier wäre es wünschenswert, weniger Aufwand zu betreiben.
Wir sprechen hier von Neubauten. Spielt Low Tech beim Bestand überhaupt eine Rolle?
Durchaus. Die energetischen Anforderungen und die Vorgaben zur Luftdichtigkeit sind problematisch, sodass man aufpassen muss, aus Gebäuden, die bisher Low Tech waren, nicht High Tech zu machen. Hier muss man mit Augenmaß rangehen und projektbezogen bewerten, was bauphysikalisch umsetzbar ist.
Welche Rolle kann der Bund als Bauherr spielen bei der Low-Tech-Architektur?
Der Bund hat eine extrem wichtige Vorbildwirkung und besetzt dieses Thema aktiv. Er hat zwei große Fachsymposien zu Low Tech veranstaltet und Publikationen herausgegeben.
Wo sehen Sie weiteren Forschungs- und Verbesserungsbedarf?
Wir müssen stärker in die Umsetzung gehen, die eigenen Ergebnisse evaluieren und auch offen über Fehler sprechen. Und die Erkenntnisse auch auf andere Gebäudetypologien übertragen wie Krankenhäuser und Kulturbauten. Ein Beispiel ist die Klimatisierung von Kunstobjekten in Museen: Warum muss nicht nur die Vitrine, sondern der ganze Raum klimatisiert werden?
Das Gespräch führte Roswitha Loibl.
Dieses Interview wurde zuerst auf www.immobilienmanager.de am 7.2.2024 veröffentlicht.