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Nachgefragt: Klimaneutral in der Baubranche bis 2045 – klappt das noch, Herr Moll?

Herr Moll, allgemein neigt man derzeit zu Depressionen in der Baubranche. Wie ist denn nach Ihrem Eindruck allgemein die Stimmung im Bau und was erwarten Sie dort in den nächsten Jahren?

Auf den ersten Blick und vor allem wenn man die täglichen Pressemeldungen liest, scheint die Stimmung in der Bauwirtschaft, wie von Ihnen beschrieben, sehr negativ zu sein, vor allem im privaten Wohnungsbau, also im Ein- oder Zweifamilienhausbau. Das muss man aber differenzierter betrachten, denn es gibt deutliche Unterschiede in den einzelnen Segmenten. Als langfristigen Trend sehen wir in allen Segmenten, Wohn- und Nichtwohnbau, eine Verschiebung vom Neubau zur Sanierung. Zentraler Treiber ist das Ziel der Klimaneutralität bis 2045. Gebäude spielen bei der Zielerreichung eine zentrale Rolle und müssen saniert und vor allem gedämmt werden, um die angestrebten Energieeffizienzziele zu erreichen. Die Politik unterstützt diese Entwicklung zusätzlich durch ordnungspolitische Maßnahmen und Förderungen, um die Sanierungsraten in den nächsten Jahren deutlich zu steigern. Insgesamt sehen wir daher eine positive Dynamik im Sanierungsbereich und im Nichtwohngebäudebereich, insbesondere Industrie, Gewerbe, Logistik. Dieses Bild spiegelt sich auch bei der Betrachtung einzelner Gewerke und Planungssegmente wider: Gewerke, die einen hohen Sanierungsanteil haben und zur Energieeffizienz der Gebäude beitragen, z. B. Energie- und Gebäudetechnik, Fassade & Dach sowie Dämmung, profitieren überproportional von der aktuellen Entwicklung. Allerdings steht die Bauwirtschaft langfristig vor strukturellen Herausforderungen, getrieben durch den Fachkräftemangel, und damit massiven Unterkapazitäten in der Bauausführung.

Sehen Sie Unterschiede im Ländervergleich – innerhalb Europas oder global?

Auf jeden Fall. Deutschland ist zwar immer noch der größte Baumarkt in Europa, aber das Wachstum hat sich in den letzten zwei Jahren deutlich verlangsamt, insbesondere durch den Rückgang im Neubau, gepaart mit unklaren Förderrichtlinien aufgrund politischer Unsicherheiten, die sich sowohl im Neubau- als auch im Renovierungssegment negativ ausgewirkt haben. Die USA sind hier ein sehr gutes Beispiel, wie durch attraktive Rahmenbedingungen mit schlanken und schnellen Genehmigungsverfahren sowie einer klaren Förderpolitik die Investitionen deutlich gesteigert werden können. Der nächste große Unterschied ist das Thema Nachhaltigkeit und Energieeffizienz von Gebäuden. In Regionen außerhalb Deutschlands bzw. Europas mit einer positiven Energiebilanz und erneuerbaren Energien, z. B. Wasserkraft, stellt sich die Frage der Gebäudedämmung nicht in dem Maße wie in Deutschland, da die Energie CO2-neutral erzeugt wird. Für diese Länder, z. B. Brasilien, macht es überhaupt keinen Sinn, Milliarden in die energetische Sanierung zu investieren, da die Energie zu fast 100 % klimaneutral erzeugt wird, z. B. durch Wasserkraft. In Deutschland ist das bekanntlich nicht der Fall, deshalb müssen wir in die aufwendige Sanierung der Gebäude investieren, was zum einen viel Steuergeld und zum anderen Ressourcen in Form von Fachkräften und Material kostet.

Wir müssen in Deutschland ordentlich Fahrt im Thema Nachhaltigkeit aufnehmen: Das betrifft die Energieerzeugung, aber auch die Herstellung von nachhaltigen Baustoffen. Warum sind nachhaltige Baustoffe noch wenig verbreitet?

Der Druck auf Hersteller, Architekten & Planer und vor allem Bauherren war in den letzten 10 Jahren vergleichsweise gering. In den letzten Jahren hat sich der Druck durch verschärfte Vorschriften zur Energieeffizienz sowohl im Neubau als auch im Bestand, z. B. beim Verkauf von Bestandsimmobilien, deutlich erhöht. Zudem wird das Thema „Nachhaltigkeit“ immer noch stark mit einem Preisaufschlag assoziiert, z.B. CO2-neutraler Stahl oder nachhaltige Dämmstoffe. Hersteller, die sich auf nachhaltige Baustoffe spezialisiert haben, müssen daher noch viel Überzeugungsarbeit leisten, um traditionelle Bauweisen aufzubrechen. Beispiele hierfür sind die Holzmodulbauweise und das serielle Bauen bzw. Sanieren. Deren Marktanteil ist in den letzten Jahren deutlich gestiegen, allerdings von einer sehr kleinen Basis aus und erst unter dem Druck externer Faktoren, z. B. Fachkräftemangel, Nachhaltigkeit.

Warum ist der Einsatz nachhaltiger Dämmstoffe  aus Ihrer Sicht heute  noch in der Umsetzung schwierig bzw.: Wo sehen Sie Chancen?

Das Thema ist aufgrund der kleinteiligen Entscheiderstruktur in der Baubranche komplex. Ein wesentlicher Grund ist sicherlich, dass das Thema nachhaltige Dämmstoffe immer noch ein Nischenprodukt ist und wir es im Vergleich zu den klassischen Baustoffherstellern, meist Konzernen, in diesem Segment überwiegend mit mittelständischen Unternehmen zu tun haben. Es fehlt daher an Skaleneffekten in der Produktion und an der notwendigen Vertriebspower, um alle Akteure – Bauherren, Planer/Architekten und Handwerker – zu überzeugen. Da aber, wie bereits erwähnt, die Regulierung deutlich verschärft wird, gibt es nun einen sogenannten Pull-Effekt, d. h. die Nachfrage wird automatisch stärker steigen, da Nachhaltigkeit in Gebäuden zwingend erforderlich ist.

Wir leben in einer globalisierten Welt. Glauben Sie an die Wettbewerbsfähigkeit von nachhaltigen Dämmstoffen?

In Europa auf jeden Fall, die Anforderungen durch eine striktere Regulatorik werden weiter steigen und wir sehen eine zunehmende Durchdringung des Holzbaus, wodurch auch der Anteil nachhaltiger Dämmstoffe steigen wird. Hier haben europäische Hersteller dann sicherlich einen entscheidenden Wettbewerbsvorteil, da es in anderen Regionen auf der Welt nicht den gleichen Stellenwert einnimmt. In Asien sowie Nord- und Südamerika steht das Thema Nachhaltigkeit im Bau nicht auf Tagesordnungspunkt 1, zudem sind die Baustandards einfacher und das Bauen grundsätzlich günstiger als in Europa, insbesondere in Deutschland. Ohne starke Vertriebsaktivitäten und ein attraktives Preis-Leistungs-Verhältnis wird es schwierig sein, gegenüber traditionellen Dämmstoffen konkurrenzfähig zu bleiben.

Wo sollte es Ihrer Meinung nach bei der Dämmung hingehen, um wirtschaftlich auch morgen noch eine Rolle zu spielen?

Das Thema Nachhaltigkeit wird in Europa und insbesondere in Deutschland weiter an Bedeutung gewinnen. Das heißt, die Hersteller müssen sich darauf einstellen, dass die Nachfrage nach nachhaltigen Dämmstoffen weiter steigen wird. Um die oben beschriebenen Sanierungsziele der Bundesregierung zu erreichen, benötigen wir mehr Fachkräfte und müssen effizienter und vor allem schneller bauen bzw. sanieren, d. h. den Output pro Mitarbeiter erhöhen. Gewinner werden die Hersteller sein, die nicht nur die passenden Produkte liefern, sondern ihren Kunden (Handwerkern und Planern) auch Dienstleistungen und innovative Lösungen anbieten können, die ein effizienteres Arbeiten auf der Baustelle ermöglichen. Digitalisierung und serielle Sanierung bzw. Vorfertigung können hier einen massiven Beitrag leisten, um mit weniger Fachpersonal die Bauleistung und damit die Sanierungsquote zu erhöhen. Im Bereich Fassade und Dämmung gibt es hier bereits erste Lösungen, grundsätzlich sind andere Länder im Bereich der seriellen Sanierung und Digitalisierung deutlich weiter als Deutschland. Ein weiterer Trend, den wir beobachten, ist die zunehmende Konsolidierung auf der Anwenderseite, getrieben u. a. durch den Fachkräftemangel, mehr komplexere und größere Projekte sowie fehlende Nachfolgelösungen in den Unternehmen. In Zukunft werden wir weniger, aber deutlich größere Handwerksbetriebe und -gruppen sehen. Für die Hersteller bedeutet dies, dass der Direktvertrieb ohne Fachhandel zunehmen wird. Das Service- und Dienstleistungsangebot, z. B. technische Beratung, Webshop etc., muss an die neuen Anforderungen im Vertrieb angepasst werden.

Vielen Dank für das Gespräch, Herr Moll!

„In Zukunft werden wir weniger, aber deutlich größere Handwerksbetriebe und -gruppen sehen. Für die Hersteller bedeutet dies, dass der Direktvertrieb ohne Fachhandel zunehmen wird.“

Florian Moll

Das Interview ist erschienen im Magazin TI – Technische Isolierung 2.2024.