Immer noch gibt es in Industrieanlagen zu viele ungedämmte Bereiche. Dabei könnten Anlagen durch konsequente energieeffiziente Dämmung nachhaltiger, also umweltfreundlicher und kostensparender, betrieben werden. Allein durch die Dämmung sämtlicher bisher ungedämmter Anlagenteile ließen sich deren Wärmeverluste um bis zu 95 % reduzieren – und das über Jahre. Die Dämmungen sind einfach umzusetzen und der finanzielle Einsatz amortisiert sich bereits in kurzer Zeit.
Verluste durch ungedämmte Anlagenteile
Die aktuellen Anforderungen an Dämmsysteme in der Industrie beschränken sich zumeist auf die Sicherung der Prozesse in den Anlagen sowie den Personenschutz. Die Energieeffizienz spielt dabei eine untergeordnete Rolle, Energieverluste werden in Kauf genommen. Anders als für die Versorgungstechnik in Häusern und Gebäuden (Technische Gebäudeausrüstung/TGA), die sich nach dem Gebäudeenergiegesetz (GEG) richtet, gibt es für Dämmungen in der Industrie keine gesetzlichen Vorgaben. Daraus resultieren beträchtliche Einsparpotenziale in prozesstechnischen Anlagen. Untersuchungen [1]zeigen: Die Anteile ungedämmter Bauteile beziehungsweise beschädigter Dämmsysteme in Industrieanlagen liegen in Temperaturbereichen bis 100 °C bei zehn Prozent. In Bereichen bis 300 °C liegen sie bei sechs Prozent und über 300 °C bei zwei Prozent.
Ein Beispiel für die Einsparpotenziale: Ein ungedämmtes Ventil (Größe: DN 150 / 6”; Temperatur: 150 °C; Betriebszeit: 8.760 h/a) verursacht jährlich einen Energieverlust von 10.600 kWh. Dasselbe – allerdings mit einer üblichen Dämmkappe isolierte – Ventil verzeichnet lediglich 600 kWh Energieverlust. Die Energieeinsparung von 10.000 kWh würde ausreichen, den jährlichen Gasverbrauch einer Etagenheizung für eine 70- bis 80-Quadratmeter-Wohnung ein Jahr lang zu decken. [2]
Sinnvolle Spezifikationen der Dämmungen
In Anlagen laufen verschiedene Prozesse bei unterschiedlichen Temperaturen unterschiedlich lang. Aktuell erfolgen Dämmungen jedoch in der Regel allein abhängig von Temperatur und Geometrie der Anlagen – sie werden unabhängig von der Betriebsweise spezifiziert. Sinnvoll wäre jedoch zum Beispiel die Berücksichtigung der Betriebsstunden pro Jahr und der sich daraus ergebenden Einsparpotenziale.
Die Spezifikationen der Dämmungen nach Teilprozessen würden zu einem umfangreichen Tabellenwerk führen, aus dem sich anhand von Parametern wie Nennweite der Rohrleitung und Prozesstemperatur die erforderlichen Dämmdicken ablesen lassen.
Eine einfachere Möglichkeit bietet die VDI 4610 (Richtlinie für den Wärme- und Kälteschutz an betriebstechnischen Anlagen in der Industrie und technischen Gebäudeausrüstung; Werkzeug, mit dem Einsparpotenziale an Wärme- und Kälteverlusten ermittelt sowie Maßnahmen für eine effektive Dämmung unter Beachtung ökologischer und ökonomischer Gesichtspunkte konzipiert werden können; orientiert sich an der Ökobilanz von Dämmsystemen und unterstützt damit Klimaschutzmaßnahmen): die Einordnung in Energieeffizienzklassen (EEK), also für jeden Teilprozess ein Buchstabe, ähnlich den EEK A bis G des bereits bestehenden Europäischen Energielabels. Die EEK definieren die jeweils zugelassenen Wärmeverluste allein in Abhängigkeit von Temperatur und Geometrie einer Anlage beziehungsweise eines Objekts. Die umständliche Festlegung von Dämmdicken für jeden einzelnen Leitungsabschnitt einer Anlage wäre nicht mehr erforderlich.
Vorteile der Definition per EEK:
In der Praxis hieße das zum Beispiel, die oben erwähnten Anlagenteile, in denen sehr schmerzhafte Energieverluste entstehen, mit Dämmungen der EEK A zu versehen. Beispielsweise in Lagerprozessen für Schwer- oder Rohöl, die üblicherweise in großen Speichertanks (Ø > 20 m) stattfinden. In ihnen müssen zusätzliche Heizungen das Öl auf einer konstanten Temperatur halten. In diesem energieaufwendigen Verfahren zählt jede kWh, die eingespart werden kann. Zudem gibt es hier in der Regel ausreichend Platz für eine entsprechend gute Dämmung. Für andere Anlagenteile sind die EEK B, C oder D ausreichend oder Dämmungen, die nur den Personenschutz gewährleisten. Das trifft beispielsweise auf Kühlprozesse zu, bei denen es ausschließlich darum geht, Energie zu „vernichten“ und nicht darum, Energieverluste zu minimieren.
Einsparpotenziale energieeffizienter Dämmsysteme
Laut der EiiF-Studie "The insulation contribution to decarbonise industry" [1] aus dem Jahr 2021 liegen die Einsparpotenziale aller Industriesektoren in Deutschland insgesamt bei 3.466 ktoe (Kilotonne Öleinheiten = Energiemenge, die aus einer Tonne Rohöl gewonnen werden kann). Allein durch Dämmung bisher ungedämmter Anlagenteile nach EEK C sowie die konsequente Instandhaltung beschädigter Dämmungen könnten 2.300 ktoe eingespart, also zwei Drittel dieses Potenzials gehoben werden. Das entspricht mehr als zehn Prozent der Einsparungen, zu denen sich Deutschland im Rahmen des Europäischen Green Deals verpflichtet hat – als Beitrag, Europa klimaneutral zu machen.
Fazit
Das Umdenken hinsichtlich nachhaltiger Dämmungen in der Industrie würde spürbare Verbesserungen im Umweltschutz bewirken. Die entsprechenden Maßnahmen ließen sich zügig und kostengünstig umsetzen – mit den bereits zur Verfügung stehenden technischen Möglichkeiten. Und sie wirken nachhaltig – über Jahre hinweg.
Quellen
[2] www.eon.de/de/pk/erdgas/gasverbrauch.html
Der Beitrag fasst die Inhalte des Vortrags "Spezifikation nachhaltiger technischer Dämmsysteme" zusammen, den David Maurer, Head of Engineering Services bei der G+H Isolierung GmbH auf der TI‑Expo 2022 in Essen gehalten hat. Der Beitrag ist auch in Ausgabe 4.2022 der Fachzeitschrift TI – Technische Isolierung (November 2022) erschienen.