Richtig umgesetzt kann sie sowohl Unfälle als auch Kosten reduzieren. Die europäische Rahmenrichtlinie über Sicherheit und Gesundheitsschutz bei der Arbeit (Richtlinie 89/391/EWG) gilt als Meilenstein zur Verbesserung des Arbeitsschutzes in Europa. Umgesetzt in deutsches Recht wurde sie 1996 mit dem Arbeitsschutzgesetz, das Arbeitgeber u. a. verpflichtet, Gesundheitsgefährdungen am Arbeitsplatz zu beurteilen und über notwendige Schutzmaßnahmen zu entscheiden.
Gefährdungsbeurteilung ist Pflicht
Die Anforderungen an die Gefährdungsbeurteilung werden in den Verordnungen zum Arbeitsschutz, wie z. B. in der Arbeitsstättenverordnung und der Betriebssicherheitsverordnung – und in anderen Regelwerken – konkretisiert. Es handelt sich also keineswegs um eine Einladung, welche man annehmen oder ablehnen kann, sondern um eine Pflichtaufgabe.
Untersuchungen zur Umsetzung haben immer wieder gezeigt, dass insbesondere Klein- und Mittelbetriebe oftmals keine angemessenen Gefährdungsbeurteilungen im Betrieb erstellt und dokumentiert haben. Da es sich um eine grundlegende Pflicht im Arbeitsschutz handelt, muss die mangelnde Akzeptanz verwundern. Bei Missachtung drohen Bußgelder und im Rahmen von Strafverfahren nach einem Arbeitsunfall zählt, ob die entsprechende Gefährdungsbeurteilung erstellt wurde. Hinzu kommt, dass Gefährdungsbeurteilungen einer Risikoverringerung im Sinne einer Kosten-Nutzen-Analyse gleichzusetzen sind.
Wirtschaftlicher Aspekt von Gefährdungsbeurteilungen
Betriebliche Investitionen bergen immer ein finanzielles Risiko für den Betrieb. Um dieses Risiko im Vorfeld zu minimieren, bedarf es einer Analyse der anfallenden Kosten und des zu erwartenden Nutzens.
Kosten-Nutzen-Analyse

Kosten-Nutzen-Analysen werden immer dann angewendet, wenn neue Vorhaben gestartet und mehrere alternative Szenarien gegeneinander abgewogen werden. Ziel ist es, das Optimum von Vermeidungskosten (z. B. Kosten für Arbeitsschutzmaßnahmen) und Schadenskosten (z. B. Kosten der gesetzlichen Unfallversicherung und des Betriebs für die Folgen eines Arbeitsunfalls) zu finden.
Hierbei ist die Auswahl möglicher Arbeitsschutzmaßnahmen durch Vorgaben des Regelwerks eingeschränkt, da Mindestvorgaben aus Gesetzen, Verordnungen und Unfallverhütungsvorschriften selbstverständlich einzuhalten sind, um dem Recht auf Leben und körperlicher Gesundheit (Art. 2 Satz 2 Grundgesetz) zu entsprechen.
Nachdem die Möglichkeiten der Beeinflussung von Kosten in der Planungsphase hoch sind und im Verlauf der Ausführungsphase stark abnehmen, ist die frühzeitige Durchführung der Kosten-Nutzen-Analyse sinnvoll. Und damit wäre die Sinnhaftigkeit der Forderung nach dem Erstellen einer Gefährdungsbeurteilung vor Arbeitsbeginn erklärt.
Plausibel, lohnend und bewältigbar?
Verhaltensänderungen beim Durchführen der Gefährdungsbeurteilung erreicht man – vereinfacht gesagt – nur dann, wenn diese für den Einzelnen plausibel, lohnend und zu bewältigen sind. Wirtschaftlich betrachtet ist das Durchführen einer Gefährdungsbeurteilung immer lohnend, da keine Bußgelder oder Regressverfahren drohen, die Verantwortlichen dabei das Optimum aus Kosten und Maßnahmen vor Ausführung der Arbeiten ermitteln und mit den für den Betrieb optimalen Maßnahmen dann Arbeitsunfälle sowie Berufskrankheiten vermieden werden können.
Folgt man den Aussagen einschlägiger Untersuchungen, so wird deutlich, dass das Durchführen der Gefährdungsbeurteilung nicht immer als plausibel wahrgenommen wird. So gehört etwa der Arbeitsschutz bei vielen Handwerkern mit Gesellen- oder Meisterbrief zur Berufsehre, da dieses Thema fester Bestandteil der Ausbildung ist. Die Durchführung einer formalen Gefährdungsbeurteilung wird da auch schon mal als überflüssige Bürokratie eingeschätzt.
Nun ist es aber so, dass die hohe Zahl an Regelwerken im Arbeitsschutz und der sich ändernde Stand der Technik eine regelmäßige Beschäftigung mit Gefährdungen und Maßnahmen erfordert. Zu bewältigen ist es recht einfach, da sehr viele analoge und digitale Unterstützungstools verfügbar sind, die meistens auch noch kostenlos sind.
Mindestanforderungen für Arbeitgeber
Gesetzgeber und gesetzliche Unfallversicherung geben mit ihren Regelwerken lediglich die Mindestanforderungen vor, damit Arbeitgeber – die ihre Betriebe, ihre Arbeitsmittel, ihre Mitarbeitenden, ihre Arbeitsplätze und Tätigkeiten am besten kennen – die für sie besten Maßnahmen treffen können. Der Freiheit auf der einen Seite steht die Pflicht gegenüber, die Gefährdungsbeurteilung durchzuführen und zu dokumentieren.
Fazit
Die Gefährdungsbeurteilung ist also eine Obliegenheit, die plausibel, lohnend und bewältigbar ist – warum sind die Umsetzungsquoten trotzdem unbefriedigend?
Viele Menschen neigen paradoxerweise dazu, Aufgaben (bspw. Hausaufgaben, Hausarbeit usw.) aufzuschieben, obwohl ihnen bewusst ist, dass mit jeder Arbeit, die liegen bleibt, der Berg an zu erledigender Arbeit weiter anwächst. Machbar ist die Aufgabe Gefährdungsbeurteilung zweifellos – man muss sie jedoch durchführen, bevor der Berg an Arbeit so hoch ist, dass die Erledigung unwahrscheinlich wird.
Menschen machen unbewusst ständig und überall Gefährdungsbeurteilungen, etwa vor dem Überqueren einer Straße, vor dem Ansprechen einer attraktiven Person in einer Bar, vor dem Einkauf in einem Onlineshop, vor der Hochzeit usw. Meist fehlt hierbei eine ausgefeilte Systematik ebenso wie eine Dokumentation und nicht alle getroffenen Entscheidungen stellen sich im Nachhinein als perfekt heraus. Aber man lernt dabei ständig dazu. Es ist letztendlich doch nur Mittel zum Zweck, um übergeordnete Ziele zu erreichen.
Quelle: BG BAU