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Eine Norm richtig lesen

Bevor wir eine Norm lesen und umsetzen, müssen zunächst zwei Fragen beantwortet werden:

  • Muss eine Norm zwingend beachtet werden?

  • Gilt die Norm überhaupt für meine Tätigkeiten?

Muss eine Norm zwingend beachtet werden?

Das Interessante vorweg – eine Norm ist grundsätzlich erst einmal freiwillig, ABER: Eine Norm wie die DIN 4140 für unser Gewerk der technischen Isolierung ist in vielen Fällen automatisch mit der Auftragsvergabe mit vereinbart. Sobald wir einen VOB-Vertrag haben, gelten dessen Regelungen und für die Abrechnung die DIN 18421, in der die Ausführung nach DIN 4140 vorgeschrieben ist!

In allen anderen Fällen müssen etwaige Ausführungsnormen vertraglich vereinbart werden. Es ist jedoch sehr sinnvoll, entsprechende Normen vertraglich zu fixieren und danach zu arbeiten, da im Streitfall die fachliche Beurteilung von den jeweiligen Sachverständigen in Anlehnung an existierende Normen erfolgen wird. Denn eine Norm zeigt bewährte Lösungen für häufig wiederkehrende Aufgaben und stellt somit den Stand der Technik dar.

Gilt die Norm überhaupt für meine Tätigkeiten?

Das ist tatsächlich eine der wichtigsten Fragen, die jeder zu Beginn prüfen sollte. Jede Norm oder Richtlinie hat einen Anwendungsbereich. Das gilt in unserer Branche für die DIN 4140 genauso wie für die AGI Q-Reihe oder VDI-Richtlinien. Der Anwendungsbereich muss im Einklang mit der Ausführung sein.

Die DIN 4140 zum Beispiel definiert den Anwendungsbereich für „...Dämmarbeiten an betriebstechnischen Anlagen in der Industrie und in der Technischen Gebäudeausrüstung.“ (Quelle: DIN 4140; Mai 2023)

Ebenfalls gilt es in diesem Zusammenhang zu beachten, dass Normen einen Abschnitt mit „normativen Verweisungen“ haben. Darin sind weitere Normen und Richtlinien angegeben, die in dem jeweiligen Dokument genannt werden und somit vollumfänglich oder in Teilen ebenfalls anzuwenden sind. Für die DIN 4140 sind das mittlerweile über 70 Dokumente, wie z.B.:

  • DIN EN 1991-1-4, Einwirkungen auf Tragwerke – Windlasten
  • DIN EN 14303, Werkmäßig hergestellte Produkte aus Mineralwolle (MW)
  • AGI Q 02, Begriffe
  • AGI Q 154, Trag- und Stützkonstruktionen

Beachten der Normensprache

In der Normensprache gibt es drei Auslegungsformen, wie ein Dokument zu lesen ist.

Übersicht der Normensprache

Verbform

Bedeutung

Muss / darf nur / darf nicht

Einhaltung verbindlich, keine Abweichung erlaubt
-> kein Ermessensspielraum

Soll / sollte / sollte nicht

Eindringliche Empfehlung; auf behördlicher Ebene sind „Soll“-Bestimmungen oftmals „Muss“-Anforderungen
-> begrenzter  Ermessensspielraum

Kann / vorzugsweise / kann nicht

Allgemeine Empfehlung, danach sollte verfahren werden, keine Vorschrift -> freier Ermessensspielraum

1. Verbindliche Einhaltung

Die Verbformen „muss“ bzw. seltener verwendet „darf nur“/„darf nicht“ sind eindeutige Aussagen, bei denen keine Abweichung erlaubt ist. Es gibt hier keinen Ermessensspielraum!
Beispiel aus der DIN 4140: 2023-05: Im Außenbereich bzw. im Innenbereich mit Reinigungsarbeiten z. B. mit Wasser dürfen nur Schrauben aus nichtrostendem austenitischem Stahl verwendet werden.

2. Eindringliche Empfehlung

Die Verbformen „soll“/„sollte“/„soll nicht“ sind eindringliche Empfehlungen, die auf behördlicher Ebene oftmals auch als „muss“-Anforderungen ausgelegt werden. Hier hat der Anwender einen begrenzten Ermessungsspielraum.

Beispiel aus der DIN 4140: 2023-05: Für Dämmarbeiten an betriebstechnischen Anlagen, … soll bei Neuanlagen die maximale Wärmestromdichte nach Effizienzklasse C nachgewiesen werden. 

3. Allgemeine Empfehlung

Die Verbformen „kann“/„kann nicht“ bzw. seltener verwendet „vorzugsweise“ sind allgemeine Empfehlungen. Es sollte danach verfahren werden, aber es ist keine Vorschrift. Hier hat der Anwender den größten Ermessungsspielraum.

Beispiel aus der DIN 4140: 2023-05: Zeppelinköpfe sind vorzugsweise mit Falz-Verbindungen auszuführen. Alternativ kann beispielsweise Sicke auf Sicke ohne Versteifung ausgeführt werden.

Nicht alles in einer Norm hat einen Normencharakter

Das hört sich verwirrend an, sollte einem Leser aber bewusst sein. Alles, was in Anhängen steht, ist lediglich informativ und wird so auch in den Dokumenten dargestellt. In der DIN 4140 ist das zum Beispiel der Anhang A mit „typische Systeme von Wärme- und Kältedämmsystemen“. Es werden hier mögliche Lösungen dargestellt, wie z. B. der Aufbau der Dämmung für eine Kombination aus Wärme- und Schallschutz aussehen könnte, aber es kann davon auch abgewichen werden und andere Lösungen sind somit definitiv erlaubt.

Fazit

Eine Norm zu lesen ist nicht schwer, aber ein paar wichtige Punkte müssen dem Anwender bekannt sein und können für die ein oder andere Diskussion sehr hilfreich sein oder diese eben vermeiden.

Dieser Beitrag ist eine Fortsetzung der Erläuterungsreihe zu den für das Isolierhandwerk wichtigen Regelungen. Informationen zur hier erwähnten DIN 4140 sind in den Ausgaben Nr. 2.2023 (Teil 1) und Nr. 3.2023 (Teil 2) von TI – Technische Isolierung zu finden.